Viele wissenschaftliche Zukunftsszenarios, welche die Temperaturziele des Weltklimaabkommens von Paris berücksichtigen, enthalten ein markantes Element: Im Jahr 2100 sind mindestens sechs Millionen Quadratkilometer, 17-mal Deutschland, mit Klima-Plantagen bedeckt. Schnell wachsende Pflanzen ziehen CO2 aus der Atmosphäre, werden in Biokraftwerken verfeuert – und dabei wird das Treibhausgas abgeschieden und gespeichert. „Bioenergy with Carbon Caputure and Storage“ lautet der Fachbegriff.
Doch diese Größenordnung ist unrealistisch und irreführend, warnt ein Autorenteam unter Führung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) in dem auch Dr. Christian Hof, Leiter einer Nachwuchsforschungsgruppe am Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie an der TUM School of Life Sciences mitarbeitete.
Anbaufläche von Bioenergie-Pflanzen nicht erhöhen
„Solche Rechnungen helfen der Wissenschaft beim Verständnis von Zusammenhängen – doch Politik und Öffentlichkeit dürfen sie nicht als irgendwie wünschenswert missverstehen“, sagt Prof. Felix Creutzig, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport und Leitautor des Beitrags. „Unter den gegenwärtigen Umständen sollte die Fläche für den Anbau von Bioenergie-Pflanzen, weltweit rund 500.000 Quadratkilometer, überhaupt nicht erhöht werden.“
Artenvielfalt könnte gefährdet werden
Um zu begründen, dass zusätzliche Klima-Plantagen die Welt nicht wirklich nachhaltiger machen würden, werteten die Forschenden verschiedene Berichte des Weltklimarats IPCC sowie weitere wissenschaftliche Studien aus. Demnach würde ein Hochskalieren von „Bioenergy with Carbon Capture and Storage“ insbesondere die Artenvielfalt gefährden: Ein derart ausgerichteter Klimaschutz wäre für die Natur womöglich noch schlechter als gar keiner, mahnt das Autorenteam und verweist darauf, dass schon von 1970 bis 2016 die Zahl der Säugetiere, Amphibien, Reptilien und Fische weltweit um 68 Prozent zurückgegangen ist.
„Eine massive Ausweitung des Anbaus von Bioenergiepflanzen würde positive Effekte des Klimaschutzes für die Biodiversität konterkarieren – das zeigen unsere Untersuchungen deutlich“, so Dr. Christian Hof, der sich mit seinem Team insbesondere mit den Auswirkungen des Klima- und Landnutzungswandels auf die biologische Vielfalt beschäftigt. Dieser Aspekt sollte den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge im Weltklimarat stärker gewichtet werden, ebenso wie Risiken für die Lebensgrundlagen indigener Völker.
Zu wenig beachtet werde in den Szenario-Modellen auch das Problem der Kipppunkte – also dass bei einem Weiter-so, im Vertrauen auf großflächige CO2-Entnahme in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, durch die steigenden Temperaturen zum Beispiel Methan aus aufgetautem Permafrostboden in Sibirien entweicht und die Klimakrise verschärft.
Emissionsminderung besonders wichtig
„Dass die Bioenergie-Methode in Wahrheit kein großes Potenzial hat, bedeutet aber nicht Pessimismus für den Klimaschutz“, betont Felix Creutzig. „Es gibt ja auch sehr viel weniger flächenintensive Formen der CO2-Entnahme, etwa die Direktentnahme mit Luftfilter-Anlagen.“
Christian Hof ergänzt: „Vor allem kommt es jetzt eben auf Emissionsminderung an. Also darauf, die Wirtschaft zu dekarbonisieren, den Energieverbrauch nach Möglichkeit sogar zu senken und Anreize für klimafreundliche Verhaltensänderungen zu setzen, zum Beispiel durch veränderte Ernährungsgewohnheiten. Die Klima- und die Biodiversitätskrise sind die wohl größten Herausforderungen unserer Zeit. Wir brauchen umfassende Lösungen, die beide bewältigen.“
Publikation:
Creutzig, F., Erb, K., Haberl, H., Hof, C., Hunsberger, C., Roe, S., 2021, Considering sustainability thresholds for BECCS in IPCC and biodiversity assessments, Global Change Biology Bioenergy
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