„Mikroplastik ist allgegenwärtig. Auch in der Luft befinden sich, neben natürlichen Teilchen wie Pollen, Pilzsporen und Saharastaub, menschenverursachte Partikel wie Ruß und Mikroplastik“, sagt Jürgen Geist, Professor für Aquatische Systembiologie an der TUM School of Life Sciences und Koordinator des Projekts MiPAq – Mikropartikel in der aquatischen Umwelt und in Lebensmitteln. „Wir wollten im Projekt eine effiziente Methode entwickeln, um Mikroplastik in Lebensmittel- oder Fließgewässerproben zu identifizieren und gleichzeitig neue Erkenntnisse über die Wirkung der Mikropartikel gewinnen“, erklärt Geist. Aus diesem Grund entstand im Jahr 2017 mit der Beteiligung von Einrichtungen aus Natur-, Umwelt- und Ingenieurwissenschaft der Technischen Universität München in Kooperation mit bayerischen Industriepartnern das Projekt MiPAq, dessen Ergebnisse nun am 8. Juli vorgestellt wurden.
Das Projekt "Mikropartikel in der aquatischen Umwelt und in Lebensmitteln“, kurz „MiPAq“, befasste sich in den letzten 4 Jahren mit der Untersuchung von Mikropartikeln in der aquatischen Umwelt und in Lebensmitteln, vor allem im Hinblick auf Eintrag, Verhalten, Nachweis und technischen Möglichkeiten zur Reduzierung. Einzigartig ist hierbei der Fokus auf den Vergleich von Partikelfraktionen aus biologisch abbaubaren (Kunststoff-)Materialien, konventionellen nicht abbaubaren Kunststoffen und natürlichen (an)organischen Partikeln. Unter der Leitung des Lehrstuhls für Aquatische Systembiologie (TUM) und gefördert von der Bayerischen Forschungsstiftung konnten die beteiligten Lehrstühle zusammen mit den Industriepartnern zu dem komplexen Thema Mikroplastik zahlreiche neue Erkenntnisse sammeln.
Die WissenschaftlerInnen standen dabei zu Beginn vor der großen Herausforderung, dass es noch keine anerkannte und einheitliche Methode gab, um Mikroplastik nachzuweisen und die relevanten Mengen und Plastikarten zu quantifizieren. Auch waren grundsätzliche Fragen, beispielsweise zum Rückhalt von Mikroplastik in Kläranlagen oder zu dessen Auswirkungen auf Gewässerorganismen offen.
„Durch das Zusammenwirken von chemisch-analytischer, ökologisch-ökotoxikologischer und ingenieurswissenschaftlich-technischer Expertise konnten neue Technologien und Methoden zur Erkennung und Quantifizierung entwickelt sowie eine Vielzahl neuer Erkenntnisse über das Verhalten von Mikropartikeln erzielt werden“, so Prof Dr. Jürgen Geist, der Koordinator des Projektes.
Zu den wichtigsten Forschungsergebnissen zählen:
1. Zuverlässige Analyseverfahren
• Die Etablierung einer zuverlässigen Nachweismethodik für Mikroplastik mittels FTIR-Imaging in Kombination mit Künstlicher Intelligenz
• Die Entwicklung des „TUM Particle Typer“ und damit die Automatisierung der Raman-Mikrospektroskopie zum Nachweis von Mikroplastik
• Die Entwicklung und Validierung von Verfahren zur Isolierung von Mikroplastik aus verschiedenen Matrices: Grundwasser, Mineralwasser, Bier, Fruchtbrei, Kräuteraufgüssen, Kunststoffverpackungen, Abwasser sowie Meeresfrüchten
2. Wirkungen von Mikroplastik auf Gewässerorganismen
• Die Entwicklung neuer Verfahren zur Bewertung der ökotoxikologischen Wirkung von Mikroplastik auf Gewässerorganismen
• Erkenntnisse, dass die untersuchten Mikroplastikpartikel sich in ihrer Wirkung auf Sterblichkeit, Verhalten und Reproduktion nicht wesentlich von natürlich in der Umwelt vorkommenden Partikeln wie Sand unterschieden
3. Analyse von Lebensmittelherstellungs- und verpackungsprozessen
• Identifikation potentieller Eintragswege für Mikroplastik in Lebensmittel
• Optimierung von Herstellungsprozessen zur Reduktion des Mikroplastikeintrags
Dabei beschränkte sich die Arbeit des Projekts „MiPAq“ nicht nur auf die Entwicklung neuer Methoden und der Analyse von Mikroplastik im Labor. Vor allem für die Untersuchung von Mikroplastik in verschiedenen Rohstoffen und Prozessschritten konnten Proben entlang des gesamten Produktionsprozesses entnommen und analysiert werden.
„Die Zusammenarbeit mit den Industriepartnern unter anderem aus der Verpackungs- und Lebensmittelindustrie ist in dieser Form einzigartig und ermöglichte eine Einbeziehung der für die Praxis wichtigen Fragen sowie eine direkte Rückkopplung von Ergebnissen“, so Dr. Karl Glas, vom TUM-Lehrstuhl für Lebensmittelchemie und molekulare Sensorik.
Dabei wurden die wissenschaftlichen MitarbeiteInnen der TUM tatkräftig von den WissenschaftlerInnen vor Ort unterstützt. Denn sowohl die Forschenden der TUM als auch die Hersteller und Verarbeiter von Lebensmitteln hatten ein starkes Interesse an der Erkennung, Bewertung und Minimierung potentieller Verunreinigungen in Produkten und in der Umwelt durch Mikroplastik.
In den ökotoxikologischen Versuchen zeigte sich, dass es in der akuten Wirkung auf Organismen wie Muscheln und Flohkrebse keine wesentlichen Unterschiede zwischen natürlich vorkommenden Partikeln und bestimmten Plastikpartikeln gab, da die umweltrelevanten Konzentrationen meist gering sind. In einigen Fällen wurden sogar Schadstoffe von den Partikeln gebunden, wodurch deren Auswirkungen auf gewässerlebende Organismen reduziert wurden. Auch konnte durch Untersuchungen an zwei Kläranlagen gezeigt werden, dass aus diesen wesentlich weniger Mikroplastik in die aquatische Umwelt eingetragen wird, als zu Beginn des Projekts vermutet wurde. „Diese Ergebnisse geben ein Stück weit Entwarnung. Sie zeigen aber, wie wichtig eine wissenschaftlich-objektive Bewertung ist und dürfen angesichts der noch vielen Unbekannten nicht als Freibrief für eine Unbedenklichkeit von Mikroplastik in der Umwelt gewertet werden, wo das Plastik schlichtweg nicht hingehört“, so Prof. Geist.
Redaktion:
Susanne Neumann
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