Die Möglichkeiten der Genom-Editierung in der Nutztierzucht sind noch nicht systematisch erforscht worden. Der von der Bayerischen Forschungsstiftung geförderte Forschungsverbund FORTiGe wollte nun klären, inwiefern mit den molekularbiologischen Methoden der Genomanalyse und der Genom-Editierung die Tiergesundheit verbessert werden kann. Dafür haben die Forscherinnen und Forscher genomweite Untersuchungen und die Genschere CRISPR-Cas9 eingesetzt. Mithilfe des CRISPR-Cas9 Verfahrens können gezielt DNA-Bausteine im Erbgut umgeschrieben werden.
Dabei haben die Forschenden ausschließlich genetische Veränderungen anvisiert, die so auch in der Natur vorkommen könnten. Solche Veränderungen könnten auch im Rahmen klassischer Tierzüchtung erreicht werden, doch das kann viele Generationen und Jahrzehnte dauern, während die Genom-Editierung in wenigen Generationen zum Ziel führt.
Genomische Methoden zur Sicherstellung der Jungtiergesundheit
Beim Rind identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gene, die den Geburtsverlauf, die Jungtiergesundheit und die Widerstandsfähigkeit des Stoffwechsels von Kühen maßgeblich beeinflussen. „Einige der identifizierten Genomstellen können künftig zur Verbesserung der Tiergesundheit genutzt werden“, erklärt Ruedi Fries, Professor für Tierzucht an der TUM und Sprecher des Verbunds.
Die Arbeitsgruppe von Angelika Schnieke, Professorin für Biotechnologie der Nutztiere an der TUM, fand eine Möglichkeit, per Genom-Editierung Schweine zu erzeugen, die gegenüber der Ödemkrankheit resistent sind. Diese Infektionskrankheit betrifft vor allem frisch abgesetzte, also von der Muttermilch entwöhnte Ferkel, deren Darmmilieu durch die Futterumstellung aus dem Gleichgewicht geraten ist. Bei anfälligen Tieren können sich pathogene Escherichia Coli-Keime stark vermehren und durch Toxine zum Tod der Ferkel führen – ein Grund, warum hier bislang häufig Antibiotika zum Einsatz kommen.
Viruserkrankungen bei Geflügel vermeiden
Darüber hinaus konnten genomeditierte Hühner gezüchtet werden, die gegen das aviäre Leukosevirus resistent sind. Die Tiere wurden durch die Gruppe von Benjamin Schusser, Professor für Biotechnologie der Reproduktion, erzeugt. Die Resistenz wurde durch ausführliche immunologische Untersuchungen und Infektionsversuche sowohl in Zellkulturen als auch bei lebenden Tieren bestätigt.
„Das aviäre Leukosevirus kann zu schweren Erkrankungen und starker Wachstums- sowie Legedepression im Geflügel führen“, erklärt Prof. Schusser. „Durch die Forschungen könnten nun Herden von Tieren aufgebaut werden, die nicht krank werden, weil sie gegen diese Viren resistent sind.“
Genetisch veränderte Tiere als Perspektive für die Landwirtschaft
„In allen Untersuchungen verwendeten wir genetische Veränderungen, wie sie auch auf natürliche Weise vorkommen könnten“, betont Prof. Fries. So findet sich die Genvariante, die zur Resistenz gegen die Ödemkrankheit führt, zwar in bestimmten Schweinerassen, bei den bayerischen Zuchttieren kommt sie aber nur selten vor. Die Variante eines bestimmten Proteins, die zur Resistenz gegen das aviäre Leukosevirus führt, kommt beim Huhn nicht vor, findet sich aber zum Beispiel bei Wachteln.
„Die Forschungsresultate eröffnen realistische Perspektiven zur Unterstützung der Landwirte und Landwirtinnen in ihren Bestrebungen, die Tiergesundheit und das Tierwohl zu verbessern“, resümiert Prof. Fries.
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Das Verbundprojekt nahm auch die gesellschaftlichen und juristischen Rahmenbedingungen in den Blick.
In einer sozialwissenschaftlichen Analyse untersuchte die Arbeitsgruppe von Ruth Müller, Professorin für Wissenschafts- und Technologiepolitik am Munich Center for Technology in Society der TUM, welche Anwendungsmöglichkeiten die Genom-Editierung beim Tier in einem regionalen, bäuerlichen Kontext haben könnte. Dazu wurden in einer explorativen Studie Interviews mit Landwirtinnen und Landwirten, Fokusgruppen mit Vertreterinnen und Vertretern der breiten Öffentlichkeit sowie ein Workshop mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Züchterinnen und Züchtern durchgeführt. Die Integration einer sozialwissenschaftlichen Komponente in den Forschungsverbund erlaubt es, auch gesellschaftliche Möglichkeitsräume für eine Anwendung der Genom-Editierung in der Tierzucht in Bayern auszuloten. Die Studie zeigt, dass sowohl für Landwirtinnen und Landwirte als auch für die breite Öffentlichkeit heute nicht mehr Fragen der Sicherheit der Technologie im Fokus stehen, wenn sie diskutieren ob und wie die Genom-Editierung in der Tierzucht eingesetzt werden könnte. Vielmehr stehen Überlegungen darüber im Zentrum, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll und welche Rolle neue Technologien zur Stärkung einer lokalen ökologischen und tiergerechteren Landwirtschaft in Klein- und Mittelbetrieben spielen könnten. Den Einsatz von Genom-Editierung zu Gunsten der Massentierhaltung lehnt vor allem die breite Bevölkerung ab.
Die rechtswissenschaftliche Begleitforschung stand im Zeichen des EuGH-Urteils vom 25. Juli 2018, wonach genomeditierte Organismen grundsätzlich als „genetisch veränderte Organismen“ (GVO) im Rechtssinne der Richtlinie 2001/18/EG einzustufen sind. Eine Umsetzung der naturwissenschaftlichen Forschungsresultate in die landwirtschaftliche Praxis ist im Rahmen der aktuellen GVO-Gesetzgebung kaum realistisch. Prof. Hans-Georg Dederer (Universität Passau) schlägt daher Änderungen sowohl für die Richtlinie 2001/18/EG als auch für die Richtlinie 2009/41/EG vor. Sinn der ausgearbeiteten Änderungsvorschläge ist es, genomeditierte Tiere vom Anwendungsbereich des Gentechnikrechts auszunehmen, soweit mittels Verfahren der Genom-Editierung nur solche genetischen Veränderungen bewirkt werden, wie sie sich auch auf natürliche Weise oder im Wege klassischer Tierzüchtung ergeben könnten.
Der Forschungsverbund FORTiGe mit wissenschaftlicher Beteiligung der TUM, der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU, Prof. Eckhard Wolf, Lehrstuhl für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie) und der Universität Passau (Prof. Hans-Georg Dederer, Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht) sowie mit Beteiligung der Industrie wurde von der Bayerischen Forschungsstiftung gefördert.
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Wissenschaftlicher Kontakt:
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